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  Photonews
März 2013

Andreas Magdanz: Stammheim
Grossformatfotografie von strikter Kontrolliertheit

von Andres Langen


Man muss schon ein begnadeter Dickkopf sein um als Fotograf ausgerechnet Sujets anzuvisieren die strengster Geheimhaltung unterliegen. Kaum ein Betreiber von Regierungsbunkern oder Geheimdienstzentralen dürfte amüsiert sein, wenn jemand mit Kamera Einlass begehrt. Andreas Magdanz hat es dennoch versucht und geschafft.
Die (vergriffenen) Bücher Dienststelle Marienthal und BND Standort Pullach zeugen von der immensen Beharrlichkeit. Des Weiteren hat er in den letzten Jahren die NS-Ordensburg Vogelsang und das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau fotografiert. Damit exerziert Andreas Magdanz anhand historischer Orte was Herlinde Koelb mit Bürgern, Politikern, Wohn- und Schlafzimmern tut. Aspekte des Deutschseins untersuchen. Magdanz Projekte sind Tiefenbohrungen in deutsche Mentalität, Historie und Gegenwart und manchmal treffen sie auf ziemlich heisse Schichten.

Jetzt hat Magdanz sich mit der RAF befasst, insbesondere dem Deutschen Herbst 1977. Damals eskalierte ein Konflikt, dessen tödliche Folgen bis heute weder ganz aufgeklärt noch verheilt sind. Das komplexe Thema verhandelt Magdanz stellvertretend dort wo es auf deutschem Boden kulminierte - im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim, das in Bälde abgerissen werden soll. Dieser maschinenhafte Funktionsbau wurde zur Bühne eines Dramas. Was Staat und Terroristen dort aufführten bisweilen in bizarrem Zusammenwirken prägte das ganze Land und es brachte Mythen zuhauf hervor.

Wegen dieser Überhöhung ist es das passende Aktionsfeld für einen Künstler, der politische Aufklärung mittels strengster Form anstrebt. Andreas Magdanz verwendet seine Grossformatkamera mit strikter Kontrolliertheit. Er reduziert seine Motive auf abstrahierendes Schwarz-Weiss und geht vor wie ein klassischer Architekturfotograf: jede Einzelheit ist genau erkennbar, die Räume menschenleer, die Blickwinkel exakt bestimmt, Kunstlicht bei den Interieurs und diffuses Tageslicht bei den Aussenaufnahmen verstärken noch den Gestus des kühlen, exakten Dokumentierens. Dem entspricht eine absolut konsequente Buchgestalt. Cover aus Graupappe, exzellenter Bilderdruck randabfallende Illustrationen, Lagepläne, analytische Texte, gesetzt in Helvetica. Magdanz ist dieses Buch wichtiger als die Ausstellungs-Version seiner Arbeit, deren Premiere derzeit im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen ist. meist grossformatige Prints, eine filmische Dokumentation der Fotoarbeiten sowie Fernseh- und Radiodokumente zur RAF.

Dieses Material entfaltet sowohl im Buch wie in der Ausstellung enorme Intensität und hat einige Debatten ausgelöst. Andreas Magdanz aber ist noch nicht zufrieden. Hier finden nur intellektuelle, ästhetische und rationale Auseinandersetzungen statt sagt er und schildert den dritten, erst als Prototyp existierenden Werkteil eine hochpräzise virtuelle 360 Grad - Reproduktion der Stammheimer Zelle 719, in der Andreas Baader starb. Der Projektionsraum, den Magdanz Cave 719 nennt, soll ein extremes, körperlich spürbares Unbehagen erzeugen. Doch wozu, wäre es nicht eine Art Geisterbahn mit höherer Bestimmung die da kreiert werden soll. Warum Betrachter überwältigen statt sie zu berühren? Kluge Fotoarbeiten über politische Gewalt veranschaulichen auch die Grenzen ihrer Möglichkeiten: Paul Graham hat die verregneten, Alfredo Jaar die sonnenbeschienenen Schauplätze von nordirischem Bürgerkrieg und ruandischem Völkermord abgebildet - beides Reflektionen über das Unsichtbare. Andreas Magdanz wählt eine Bildsprache kaum steigerbarer Genauigkeit und Kühle und auch die erreicht den Betrachter. Doch anstatt seinen Mitteln zu vertrauen, die eine grosse Eindringlichkeit erreichen, begibt sich Magdanz auf begrifflich und konzeptionell zweifelhaftes Terrain, berichtet von der auratischen Aufladung der Stammheimer Zellen, behauptet, dass solche Wahrnehmung vor allem durch Wissen, persönliche Erfahrung und subjektives Einfühlungsvermögen erzeugt wird. Ein Ort bedeutet wenig, siehe Graham und Jaar. Die reale Stammheimer Zelle 719 bedeutet fast gar nichts. Sie wurde nach Baaders Tod vollständig saniert. Bis auf eine Ablage und zwei Steckdosen ist heute kein Quadratmillimeter jener Substanz mehr zu sehen, die sich zu RAF-Zeiten dort befand. Statt dessen sitzen seit über dreissig Jahren andere Gefangene ein - was ist mit deren Spuren? Die schwammige Kategorie »Aura« behauptet genau jenes Mythische, das Magdanz überwinden will.

Sehr viel klüger erscheint mir statt des Cave 719 ein ganz anderer Ansatz. Alle Beteiligten der Stammheimer Todesnacht sollten ihre Erinnerungen bei sicheren, ausserstaatlichen Institutionen hinterlegen, wo jenes Material erst nach dem Tod aller Aussagenden geöffnet wird. Mit diesem Vorschlag beendet Andreas Magdanz sein Buch.
Überzeugender und relevanter kann künstlerische Arbeit kaum sein.
 
 
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