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  art, Das Kunstmagazin
20.11.2012

ANDREAS MAGDANZ, STUTTGART
von ADRIENNE BRAUN


BEVOR DER BAGGER KOMMT

Die Stammheim-Fotografien von Andreas Magdanz im Kunstmuseum Stuttgart zeigen einen fast mythischen Ort der alten BRD im Grossformat – bevor der RAF-Trakt 2013 abgerissen wird.

Sie waren Gefangene besonderer Art. Die Mitglieder der RAF waren separat untergebracht, Männer und Frauen wurden nicht wie üblich getrennt, ausserdem hatten die Häftlinge Plattenspieler, zahllosen Zeitschriften und stapelweise Bücher.

Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Beim Blick in den siebten Stock der Justizvollzugsanstalt in Stuttgart-Stammheim ist nicht mal mehr zu ahnen, dass hier eines der dramatischsten Kapitel deutscher Geschichte geschrieben wurde.

Andreas Magdanz hat sich in Stammheim auf Spurensuche begeben. Ein halbes Jahr lang lebte der Fotograf einen Steinwurf von der Haftanstalt entfernt und hat Fassaden und Dächer, Hof, Flure und Zellen systematisch mit der Digitalkamera dokumentiert. Er hat aus seinem Wohnzimmer heraus die Anlage fotografiert, aber auch viele Stunden in Zellen gesessen und der Historie nachgespürt. Im Kunstmuseum Stuttgart zeigt er nun in der Ausstellung »Stuttgart Stammheim« die Ergebnisse dieser Langzeitrecherche, die vor dem Vergessen bewahren will. In den kommenden Jahren sollen die Gebäude abgerissen werden.

In Stammheim wurde Anfang der sechziger Jahre ein ganz besonderes Gefängnis gebaut – nach modernsten Erkenntnissen der Sicherheit. Für die RAF-Prozesse wurde 1975 noch ein Mehrzweckgebäude ergänzt. Aus Angst, die RAF könnte Hubschrauber landen lassen, wurden zahllose Stahlnetze gespannt. Ein trostloser Anblick.

Andreas Magdanz hat fast ausschliesslich Schwarzweissaufnahmen gemacht, die die Tristesse des Orte noch unterstreichen. Leblos und kalt wirkt der Hof mit den hohen Mauren, einsame Bäume stehen zwischen trostlosen Pfaden und dürrem Gras. Die Aufnahmen sind auch grafische Studien. Laternen, Strommasten und endlose Mauern, Zäune, Stacheldrähte fügen sich zu reichen Liniengeflechten und Strukturen.

Eine strenge Versuchsanordnung hat sich Magdanz auferlegt und das Gebäude systematisch vom Erdgeschoss aus Etage für Etage mit der Kamera erarbeitet – bis hinauf in den siebten Stock, in dem Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe inhaftiert waren und heute junge Straftäter untergebracht sind. Magdanz hat auf Menschen ganz verzichtet, die leeren Zellen sind kalte, unbelebte Kammern mit Heizkörper, Stahlwaschbecken, Tisch, Stühlen und Stockbetten. Er hat den »Besucherraum Familien« fotografiert, in dem die Glaskabinen verwirrend wie ein Spiegelkabinett wirken. Die »Mehrzweckhalle Presse« besteht aus gläsernen Zellen mit altmodischen Signo-Telefonen, im Gerichtssaal ragen die Mikrofone vor der Anklagebank empor.

Der Künstler hat auch Zeitzeugen gesprochen und Archive gesichtet, die Ergebnisse sollen später in ein Künstlerbuch einfliessen. Für Magdanz ist Stammheim »noch stark aufgeladen«, wie er sagt. Aber in der Ausstellung zeigt sich, dass die Fotografien doch an Grenzen stossen. Sie erzählen nur dem vorinformierten Besucher vom Terrorismus in der Bundesrepublik und von dem »wichtigsten Ereignis der Nachkriegsgeschichte«, für das Magdanz die RAF-Zeit hält. Die Gewalttaten, der endlose Prozess, die Todesursachen der Häftlinge, all das mag der Architektur eingeschrieben sein. Ablesbar ist die Historie deshalb aber nicht ohne weiteres.

Ausserdem hat Magdanz die Fotografien wie ein Archivar mit nüchternen Titeln versehen. »Blick aus dem Schlafzimmer auf Bau 1« heisst es da oder »Flur mit Blick in Zelle 719« – von den Zusammenhängen mit der Baader-Meinhof-Bande erfährt man nichts. So werden die Fotografien dem informierten Betrachter viel erzählen, sie können zu Sinnbildern werden, wenn sie mit den Szenen aus dem kollektiven Gedächtnis angereichert werden. Ohne das spiegeln sie, wie diese Gesellschaft grundsätzlich mit Straftätern umgeht, wie hilflos und martialisch sie agiert. BGH-Räume heissen die »besonders gesicherten Hafträume«, in die Häftlinge eingesperrt werden, die drohen durchzudrehen. Die Zellen sind noch karger, sie haben kein fliessendes Wasser, aber etwas, was in den Viererzellen ein rares Gut ist: Ruhe, Einsamkeit und einen Hauch von Intimität. Magdanz wollte Stammheim »auf der Bildebene zu Ende bringen«, wie er sagt. Und in der Tat markieren diese Fotografien einen Endpunkt, es ist wie ein Verstummen, ein letzter Nachhall. Stammheim als eine Ruhestätte, die für eine grosse politische Tragödie steht.

 
 
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